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Sie zerlegen Freestyle-Radioshows mit Top-Notch-Bars auf minimalistischen Boom-Bap-Beats. Etablierte Rapgrößen wie Kanye West, Rick Ross oder Method Man reißen sich um Features mit ihnen. Und mit cleveren Business-Moves definieren sie das Release- und Merch-Game neu. Die Rede ist von: Griselda. Während das Movement hierzulande noch eher unter dem Radar fliegt, sind seine Zugpferde in den Staaten längst in der Hip-Hop-Elite angekommen und nicht mehr wegzudenken. Alles, was du über Griselda wissen musst, erfährst du in diesem Artikel.

Wer oder was ist Griselda?

Griselda ist ein Platten- und Fashionlabel, Hiphop-Kollektiv, Movement und Familie zugleich. Den Kern bilden die Rapper Westside Gunn aka FlygodConway the Machine aka Kannon aka Jimmy Conway und Benny the Butcher aka Benn aka 2 Chain Bennymane aka B.E.N.N.Y. (Best Ever ’N New York) sowie der Hausproduzent Daringer, die allesamt in Buffalo aufwuchsen. Zwar befindet sich die Stadt im Bundesstaat und Hip-Hop-Mekka New York, allerdings ist sie meilenweit von den 5 Boroughs entfernt. Daher war sie bis dato musikalisch unbedeutend für die Szene und machte eher Schlagzeilen durch ihre hohe Kriminalitätsrate. Letztere spiegelt sich in der Entwicklung und Musik der Rapper wider.

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Von links nach rechts: Westside Gunn, Benny the Butcher & Conway the Machine beim Fotoshooting ²

Familiärer Background

Eine Besonderheit der Crew ist der familiäre Zusammenhang der Mitglieder. So handelt es sich bei Westside Gunn (bürgerlich: Alvin Lamar Worthy) und Conway the Machine (Demond Price) um Halbbrüder, die mit ihren Cousins Benny the Butcher (Jeremie Damon Pennick) und wiederum dessen Halbbruder Machine Gun Black (Marchello J. Lowery) zusammen in den rauen Straßen Buffalos aufwuchsen.

Während Kriminalität und Rauschgifthandel sie von klein auf umgab und ihren Werdegang beeinflussen sollte, verband sie eine Leidenschaft: Hip-Hop. So formierten sich die vier bereits zu Highschool-Zeiten zur Crew The Forerunners und in den 2000ern mit dem weiteren Mitglied FreeCutter zur S.E. Gang (Street Entertainment Gang). Während letzterer heute noch hinter Gittern sitzt, blicken auch die restlichen vier aufgrund ihres Straßenumfelds auf diverse Gefängnisaufenthalte zurück.

Die Straßenaffinität wurde 2006 Machine Gun Black zum Verhängnis, als er in einem Drive-by-Shooting ums Leben kam. Ihm zu Ehren widmeten die drei 2019 das Album „WWCD“ (What Would Chine Gun Do), dem einzigen Longplayer in dieser Konstellation (mit  Feature-Gästen wie z. B. Eminem, Raekwon und 50 Cent). 2012 traf es dann Conway, der angeschossen wurde – mit Schussverletzungen in Kopf, Schulter und Nacken. Seither ist eine Gesichtshälfte gelähmt, was zu seinem Markenzeichen wurde. Diesen Vorfall nahm Westside zum Anlass, einen Weg aus der Kriminalität zu schaffen.

Westside über seinen älteren Cousin: „Chine Gun was a wild boy. That was my favourite cousin, that was like the protector. You know, when he passed, that was a like a devastating blow. Because … even with the rapshit – that was like his dream.

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Gemaltes Portrait von Machine Gun Black als Kleinkind auf dem Plattencover von Bennys Durchbruch-LP „Tana Talk 3“ 3

GXFR & Griselda Records

Westside, der erst 2011 geläutert aus dem Gefängnis entlassen wurde, war nun fest entschlossen, den Fokus auf Musik zu legen – auch um seinem Bruder eine Perspektive zu bieten. Nach 7 Jahren Abstinenz releaste er noch 2012 ein Mixtape und trat fortan als Conways Manager auf. Damit war der Grundstein für das Movement gelegt. Aufgrund seines Faibles für Mode gründete Westside bereits 2005 ein kleines Bekleidungslabel namens GXFR bzw. Griselda by Fashion Rebels – der Name ist als Producer Tag in diversen Songs zu hören. Die Namensgebung Griselda ist auf die berüchtigte kolumbianische Drogenbaronin Griselda Blanco zurückzuführen.

Benny über die Entstehung von Griselda: „Griselda is Westside’s baby. Conway and I have helped him build it to what it is today but it all comes from his brain. Before Griselda was a record label, it was a clothing brand. He was already doing clothes and thinking of getting back into again. He had done some music before too.

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An diesem Punkt wird bereits deutlich, dass Westside Gunn als Kopf federführend und wegweisend für die Gründung des Kollektivs und Plattenlabels ist. Letzteres gründete er schließlich als eine Art Ableger der Bekleidungslinie und baute es gemeinsam mit Conway auf: Griselda Records war geboren. Obwohl im Netz als Gründungsdatum die Jahre 2012 oder 2014 kursieren, erklärt Conway in einem Interview, dass das Label erst mit dem „Hall & Nash“-Mixtape aufkam – einer EP aus dem Jahr 2016 von ihm und Westside –, deren Name bezeichnend für Westsides Wrestling-Passion ist. Laut Conway ist die EP das erste Projekt unter dem Label.

Conway über die Gründung von Griselda Records: „Griselda Records came when we did the Hall & Nash mixtape with me and Westside Gunn. That was actually the first project under Griselda Records. So, it was like a spinoff of the clothing line he created. That was the birth of Griselda Records, that tape right there.

Unabhängig davon, welches Jahr nun als Gründung zu datieren ist: Seit 2012 konzentrieren sich die zwei voll auf ihre Musikkarriere und holten im Laufe der Zeit Benny und Daringer mit ins Boot, die zu viert als Core Member die Identität Griseldas gestalteten und den Stein ins Rollen brachten.

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Hall & Nash-Plattencover 5

Zwei Meilensteine des Labels sind zweifelsohne der 2017 unterzeichnete Vertriebsdeal mit Eminems Shady Records und 2019 ein Management Deal mit Jay Zs Roc Nation, die allerdings inzwischen hinfällig geworden sind. Mittlerweile ist das Label gewachsen und zählt – mit Westside Gunn als CEO – unter anderem die talentierten Künstler Mach Hommy, Boldy James, Rome Streetz, Armani Caesar, YN Billy und Stove God Cooks sowie Produzent Conductor Williams zu ihren Signings. Letzterer erhielt für seinen Song „Sir Baudelaire“ von Tyler the Creator einen Grammy und produzierte zuletzt Drakes Lead-Single „8 AM in Charlotte“.

Das Movement

Griselda ist auch als Movement zu verstehen, da ihre Kunst und ihr Einfluss die Grenzen als Kollektiv oder Plattenlabel deutlich übersteigt. Angefangen bei ihren signifikanten Beats und ihrer außergewöhnlichen Reimtechnik  über ihre einzigartigen Designs und Visuals bis hin zu ihrem unablässigen Arbeitsethos – mit ihrem Lifestyle haben sie eine Bewegung losgetreten, die Kreise rund um den Globus zieht.

Eminem über den Einfluss von Griselda: „The style and energy of Griselda Records, Gunn, and Conway are infectious. […] We can’t wait to put them on the platform they have earned and deserve.“

Parallelen sind mit The Diplomats (Dipset) festzustellen, die in den Nuller Jahren einen vergleichbaren Impact auf die Szene hatten. Als weiteren Grund für die Bezeichnung Movement nennt Dipset-Mitglied Jim Jones: „We’re like a movement! We don’t like to say crew no more because a crew tends to break up all the time“. Damit spricht er einen Aspekt an, von dem auch Griselda im weiteren Verlauf nicht unberührt bleiben wird.

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Griseldas Vertragsunterzeichnung mit Jay Z bei Roc Nation 6

Griselda Beats

Düstere & grimey Samples

Die Grundlage für den typischen Griselda-Sound bilden die Beats, für die der Inhouse-Producer Daringer verantwortlich zeichnet. Daringer ist durch sein Elternhaus stark von Jazz geprägt, produziert seit 2005 und lernte Westside Gunn über lokale HipHop-Events kennen.  Signifikant für die Beats ist, dass sie auf Samples basieren und an New Yorker Golden-Era-Beats aus den 90er Jahren erinnern. Dabei ist die Wahl der Samples und das gesamte Klangbild von einer düsteren Atmosphäre geprägt. In Zeiten von hedonistischen Trap-Beats mit Feel-Good-Vibe wirken die grimeygen Instrumentals fast deplaziert.

Griselda-Hausproduzent Daringer im Studio 7

No-Drums Added Technique

Ein Unterschied zu den Boom-Bap-Beats und damit ein weiteres Merkmal für Griselda Beats ist der Minimalismus: Ein typischer Griselda Beat ist ein Drumless Beats bzw. mit sog. No-Drums Added Technique. D. h. die Drums wie Kick und Snare sind entweder dezent im Hintergrund oder gar nicht zu hören. Der Vorteil dabei ist, dass die Lyrics mehr in den Vordergrund rücken.

Diese Technik fand bereits in der Vergangenheit Anwendung, wie etwa vereinzelt durch RZA für Ghostface Killah oder weitaus später Roc Marciano. Aber bekannt und etabliert wurde der Sound erst durch Hausproduzent Daringer und Kollaborationen mit z. B. The Alchemist oder Apollo Brown, die für Griselda-Projekte das gleiche Klangbild verfolgen.

Ebenfalls ungewöhnlich für 90er Hip-Hop-Beats ist der bereits genannte Producer Tag – ein Element, das erst durch die Moderne entstand.  Mit dieser harmonischen Melange aus Golden-Era-Reminiscence, Minimalismus und Neuzeiteinfluss treffen sie allen voran den Nerv der Alteingesessenen Heads, die den teils abgedroschenen und sich inzestuös im Kreis drehenden Oldschool-Beats überdrüssig geworden sind.

Westside über Griselda-Beats: „We’re bringing a new sound to the game, but it’s also reminiscent of the grimey 90’s. […] Art is in everything we do…it’s the essence. We’re fusing boom-bap/dark sounds with the hipster cool kid lifestyle. A new lane is being carved.

Beispiel für einen typischen Griselda-Beat mit No-Drums Added Technique & Producer Tag (Conway feat. Westside Gunn & Roc Marciano – Rex Ryan)

Griselda Raps

Authentische Lyrik

Eine von Griseldas stärksten Waffe ist ihr Pengame: In ihren oft sehr bildhaften Bars beschreiben die drei Rapper den Überlebenskampf in den Projects von Buffalo, der von Drogenhandel, Gewalt und Materialismus geprägt ist. Mit einem scharfen Auge fürs Detail beschreiben sie Situationen aus dem Straßenleben lyrisch zu einem Mosaik von Geschichten, die diese Realitäten beim Hörer zum Leben erwecken. Untermauert werden die authentischen Schilderungen durch ihre Sprache bzw. ihren Straßenjargon, wie etwa Plugs, Bricks, Dope Fiends, Rubber Bands & Weight.

Benny über ihre Lyrics: „We’re all those dudes. All real. Guns, bullets, prison, all that is not for show. We have all lived that life. […] Everything is built on authenticity. Griselda is a movement. It’s cultural, it’s raw, and hard music. It’s also lyricism. We glorify lyrics. Yeah, we glorify money, too but it’s the lyrics. Daringer’s been around for years too. We’re all family.

Durch ihre harten und konsequent ehrlichen Inhalte wirken sie in Verbindung mit den düsteren Beats geradezu wie ein Gegenentwurf zu den eher oberflächlich gehaltenen Trap-Songs in den aktuellen Playlists. Dennoch schaffen sie es immer wieder, die dunkle Halbweltstimmung mit intelligenten Punchlines und einer ordentlichen Prise Ironie zu durchbrechen und dem Hörer ein Schmunzeln zu entlocken.

Elitäre Rapskills

Ihr Slang spielt ihnen phonetisch in die Karten, wenn es darum geht, geradezu metrisch konstruierte Rhymepattern und geschmeidige Liaisons virtuos ins Versmaß einzupflechten. Benny, der Jüngste und Hungrigste im Bunde, brilliert mit komplexen Doppel- und Triple-Reimketten und legt gerne eine Energie an den Tag bzw. ans Mic, als gäbe es kein Morgen mehr.

Der technisch Versierteste des Triumvirats ist allerdings Conway. Als Toptier-Lyricist swaggt er mit einer schleppenden, aber gekonnten Latenz dem Takt hinter – und besticht durch eine einzigartige idiomische Intonation und souveräne Delivery. Dank seiner virtuosen Reim- und Flowtechnik verwundert es nicht, dass er im Rahmen der BET Awards 2023 zum Lyricist of the year nominiert wurde.

Westside über seinen Bruder: „Conway was rapping on Wu-Tang level, when Wu-Tang was Wu-Tang. […] Listen, Conway is the illest n***a, I’ve ever heard with two ears. […] This n***a Conway was always next level“.

Westside Gunn setzt mit seinem hochgepitchten, Flaver-Flave-esken Stimmeneinsatz auf Reimstrukturen, die teils experimentell anmuten und beim ersten Hören nicht immer direkt ersichtlich sind. Er selbst sieht sich allerdings hinsichtlich seiner Rapskills nicht in der Competition mit den anderen, sondern vielmehr seine Aufgabe darin, die anderen beiden „Illest Rappers“ geschäftstüchtig zu pushen und bekannt zu machen. Seine Rapmerkmale sind insbesondere sein ignoranter Swagger und seine unverkennbaren Adlips („doot, doot, doot“).

Adlips sind auch bei Conway und Benny zu finden. Dieses neumodische Stilmittel ist wie der Producertag eher im Trap beheimatet. Das bedeutet, wie bei den Beats kombinieren die Griselda-Rapper Oldschool mit Newschool, was on top durch die Next-Level-Rapskills einen freshen Wind in die Golden-Era-Verses bringt. Zudem sind bei Conway und Benny stellenweise auch Songs mit anspruchsvollen Trappattern zu hören. Das zeigt, dass die Griselda-Rapper  nicht auf dem 90er Film hängengeblieben sind, sondern auch den zeitgenössischen Vibe fühlen und selbstsicher damit spielen.

Ein Beispiel, wie sich Benny unter Schweißperlen die Seele vom Leib rappt (Benny the Butcher Freestyle – Unlucky)

Ein Beispiel, dass Conway unter anderem das Handwerk der mehrsilbigen Reimketten perfektioniert und aufs nächste Level gehievt hat (MC Eight feat. Conway the Machine & DJ Premier – Honcho)